Keine Kekse für Meister Petz - unterwegs mit dem Bärenflüsterer

Dieser Artikel wurde für die führende Schweizer Kinder- und Jugendzeitschrift SPICK verfasst, die Sprache ist der Zielgruppe angepasst.

In den Coast Mountains, mitten in der gewaltigen Gebirgskette an der Westküste Kanadas, kommen Jahr für Jahr die jungen Schwarzbären aus ihren Winterquartieren. Spick-Reporterin Ulla Atzert hat sich auf den Weg gemacht, die Bären zu finden. Mit einem Bärenflüsterer.

Text: Ulla Atzert

Foto: Michael Allen

Bären! Sie sind wunderbar. Sie sind eine Gefahr. Gut, dass der Bärenflüsterer Michael Allen bei mir ist!

Wenn er nicht einschlafen kann, geht er zu ihnen. Zu den wilden Bären. Hinauf in die Berge, mit dem Schlafsack unter dem Arm. „Ich fühle mich wohl, wenn ich sie atmen höre,“ erklärt Michael Allen, der Bärenflüsterer. „Die Bären wandern herum, fressen Gras, Klee und pflücken mit der Zunge süße Beeren von den Sträuchern.“

Michael Allen ist Biologe und Bärenforscher. Mann nennt ihn: Bärenflüsterer. Niemand kommt den Schwarzbären so nah wie er. Und heute nimmt er mich mit! Morgens um fünf brechen wir auf.  Wie der Rücken eines ruhenden Drachens tauchen vor uns die Coast Mountains auf, so heißt die gewaltige Bergkette, die den pazifischen Ozean vom kanadischen Festland trennt. Langsam wird es hell, Michael rumpelt direkt über die Piste, mit seinem altersschwachen Jeep.  Ich hüpfe auf dem Sitz herum, als hätte ich einen Gummiball verschluckt. „Excited?“ Bist du aufgeregt? fragt Michael. „Nö, keine Spur.“ – behaupte ich. „Und das Hüpfen?“ grinst er.  „Kommt von den Bodenwellen – ganz klar.“ 

Jetzt im Mai gibt es noch große Schneeflecken auf den Pisten, Reste vom Wintervergnügen. Unten im Tal liegt der Skiort Whistler, ziemlich berühmt übrigens. Verschwindet der Schnee,  trifft man hier jede Menge Mountainbiker, die wegen der tollen Strecken  kommen. Und man trifft die Bären. Die Abfahrten der Biker führen genau durch ihre Reviere.  Damit es keine Zusammenstöße gibt, dürfen die Biker ihre Strecken nicht verlassen. Trotzdem tappt immer wieder ein neugieriger Bär über den Weg. Im Mai, nach ihrer Winterruhe, sind sie so hungrig, dass sie den Menschen gefährlich nahe kommen. Kaum ist der Schnee geschmolzen, sprießt frischer Klee am Wegesrand und den finden Schwarzbären sehr lecker. Sie brauchen die Vitamine, die in dem jungen Klee stecken. Sie sind jetzt so dünn, dass ihr Fell um ihre Muskeln schlabbert.

Während ich an die Biker denke, kriecht die Morgendämmerung langsam über den Rücken des Bergdrachens, einzelne Bergspitzen zeichnen sich ab. Michael stoppt. Hier beginnt das Revier von Slumber, einem selbstbewussten Schwarzbären-Männchen. Wir gehen zu Fuß weiter, um besser hören zu können. Ich halte mich dicht hinter Michael. DA! Ein Rascheln. Mist. Nur ein früher Vogel auf Wurm-Suche. Müde stolpere ich bergan. Michael packt mich am Arm. Keine 20 Meter voraus -  ein Bär! Und er ist nicht allein!  Frontal stehen sich ein mächtiger Schwarzbär und eine etwas zartere Ausgabe in braun gegenüber. „Daisy,“ murmelt Michael. Ein Weibchen. Ca 150 Pfund schwer. Aber – was tun sie da? Daisy nascht etwas Klee von der Piste, das Männchen umkreist sie aufmerksam.  Haben die uns überhaupt bemerkt? „Sicher, sagt Michael. „Sie wissen genau, dass wir da sind. Die haben uns schon gerochen, da hast du noch im Auto gesessen.“ Michael bewegt sich langsam und vorsichtig, macht Fotos.  Vorsichtig schleiche ich hinterher. Ich habe Angst. Bären vor der Paarung, wer will da schon beobachtet werden! Aber so weit ist es noch nicht. Daisy ist keineswegs von den Qualitäten des Bewerbers überzeugt. Plötzlich hebt sich das Männchen auf seine Hinterbeine, richtet sich auf stolze 180cm auf. Und Daisy? Tut es ihm nach! Sie reicht ihm nur bis zur Schulter. Da! Er drückt seine Tatze gegen ihre, die andere legt er behutsam in ihren Nacken. Sie stehen einander gegenüber, bewegen sich in einem Rhythmus, den nur sie beide kennen. Ich habe einen Kloß im Hals, weil es so schön anzusehen ist. Es ist hell geworden. Die Menschen im Tal erwachen. Stumm gehen wir zum Auto zurück. Das werde ich nie vergessen, so sehr hat mich der zärtliche Tanz der Bären berührt.

Während der Winterruhe kommen die Jungen zur Welt. Sie dürfen im Mai zum ersten Mal richtig raus. Und sie sind neugierig! Sie lernen das Moorhuhn kennen, das mutig das Nest verteidigt. Sie greifen mit ihren Tatzen nach den großen bunten Schmetterlingen, sie versuchen einen Vogel zu fangen. Es muss doch Spaß machen, mit so einem Federbällchen zu spielen. Kleine Bären probieren alles, naschen an allem – auch an Pilzen. Zum Glück gibt es hier kaum giftige. Die Bärenmütter haben viel zu tun, um auf ihre zwei bis drei Jungen aufzupassen. Kommt ein männlicher Bär, klettern die Kleinen ruckzuck in einen Baum. Wer nicht bei Drei oben ist, wird von der Bärenmutter ratzfatz hochgescheucht. Männliche Bären sind gefährlich für die Kleinen, sie töten sie. Weil sie niemanden neben der Bärin dulden, mit der  sie sich paaren wollen.

Michael will, dass „seine“ Bären in Ruhe leben können, dass sie genügend Platz für sich und ihren Nachwuchs haben. Dass die Menschen ihnen nicht auf die Pelle rücken. Dann wird es ungemütlich. Bäre sind scheu, aber sie fürchten den Menschen nicht. Darum wäre es lebensgefährlich, sie an menschliche Nahrung zu gewöhnen. Sobald sie wissen, wie gut ein Hamburger, Kekse oder auch Kaugummi schmecken kann, wollen sie das haben. Egal wie. Sie brechen in Vorratskammern und Pommesbuden ein, wühlen im Müll und wenn ein Mensch mit  unverpackten Lebensmitteln herumrennt, dann will  der Bär das  haben, egal ob ein Wanderer am Rucksack hängt oder nicht.

Der Bärenflüsterer verjagt die jungen Bären, wenn sie sich am Müll vergreifen. Ihm  - und nur ihm -  gehorchen sie. Weil Sie  ihn als eine Art Oberbären anerkennen. Seine Körpersprache drückt Dominanz aus, also Stärke. Solange die Bären klein sind, lassen sie sich davon beeindrucken. Und lernen, das man nicht im Müll graben darf. Am besten einen Bogen um die Zweibeiner macht. Egal, wie gut es aus dem Rucksack riecht. Den Menschen bringt Michael bei, die Bären in Ruhe zu lassen. Sie NIEMALS zu füttern. Einmal hat eine Touristin mit Donuts, diesen dicken Schokokringeln, nach einem Bären geworfen. Sie saß im Sessellift und unter ihr graste ein Bär. Michael hätte am liebsten geschossen.

Nicht auf den Bären.

 

 

 

Ulla Atzert