Zurück ins 17. Jahrhundert - mit maximal einem PS

Dieser Artikel wurde für die führende Schweizer Kinder- und Jugendzeitschrift SPICK verfasst, die Sprache ist der Zielgruppe angepasst.

Gott. Familie. Und viel Arbeit.

Man schreibt das Jahr1699. Jakob Ammann hat endgültig die Nase voll. Der streitlustige Prediger aus dem Schweizer Simmental kann nie wieder in seine Heimat zurück. Der Grund: Die Regierung hat beschlossen, alle Prediger, die sich Täufergemeinschaft, Mennoniten oder auch nur „Schweizer Brüder“ nennen, außer Landes zu werfen oder sie kurzerhand totzuschlagen.

Jakob Ammann und seine Anhänger, die man die Amischen nennt, sind seit Jahren auf der Flucht. Das alles nur, weil sie die Bibel anders auslegen als die Kirche. Jakob Ammann will nicht, dass Babies getauft werden, weil sie doch gar nicht entscheiden können, zu welcher Kirche sie gehören wollen. Ammann will die Taufe erst im Erwachsenenalter. Dafür und für ein Leben in Frömmigkeit und Fügsamkeit setzt er sich ein.

Was für ein Glück für seine Anhänger, dass im fernen Amerika eine gewisser William Penn mit Religionsfreiheit wirbt – dort darf man glauben, was man will. Wenn man nur ein fleißiger Bauer ist und das Land ordentlich bestellt. So geschieht, dass im heutigen Pennsylvania viele der Amischen leben, die Nachkommen der Anhänger des Jakob Ammann.

Noch heute tragen sie die Namen, die ihre Schweizer Vorfahren ihnen gegeben haben: in   der Region Lancaster County, mitten in Pennsylvania, heißt jeder vierte Stoltzfus oder Stoltzfoos. Die Namen Graber, Schwartz und Petersheim gibt es hier auch ganz schön oft. Nicht sehr englisch – oder? Die „englische Welt“ das ist bei den Amischen die Welt drumherum. Die Welt voller Lärm und Hektik, die Welt mit den bunten Fernsehern und den roten Ferraris. Ihr schnellstes Gefährt sind schwarz gelackte Kutschen. Einspänner mit einem PS. Immerhin.

Es stört die Amischen nicht, wenn sie komisch angeguckt werden. Von den Touristen, von den Nachbarn. Ihre Werte sind Demut und Bescheidenheit. Sie sind Farmer – ausnahmslos. Getreidefelder, hügelige Wiesen, aus denen hin und wieder eines der meist weißgetünchten Farmhäuser hervorschaut, Windräder - so dehnt sich die Welt der Amischen bis zum Horizont. Runde, lange Futtersilos stecken wie mächtige Zigarren aufrecht im Boden, eingepackt in eine silbrige Haut. So ist das Silo gut isoliert und das Getreide bleibt trocken.

Die Amischen sind Selbstversorger. Sie brauchen niemanden aus der modernen Welt. Sie unterrichten ihre Kinder selbst. In ihren Schulen wird hochdeutsch und englisch gesprochen. Mit 13 Jahren ist die Schule für sie vorbei.

Sie bauen ihre Häuser selbst, beschlagen ihre Pferde, backen ihr Brot. Selbstverständlich nähen sie auch alles selbst. Ihre Kleider sind schlicht, mit Haken und Ösen macht man sie zu. Es gibt keinen Gürtel, keinen Reißverschluss, noch nicht mal einen Knopf. Keine glitzernden Schnallen, kein Platz für Prunk und Pomp. Kinder gibt es viele, und die haben gemeinsam viel Spaß.

Von der Straße her tönt Autolärm und das Klappern von Pferdehufen. Motorengeräusch im Land der Amischen – das kommt von den Bewohnern der anderen, der englischen Welt. Moderne Amerikaner und Amische: Sie leben wie Nachbarn,  benutzen dieselben Wege, aber sie sind sich seltsam fremd. Und was ist, wenn man als Amish doch Probleme hat? Ein Arzt gebraucht wird in einem besonders schweren Fall? In einem der Maisfelder rund um Lancaster steht ein Telefon. Eins für alle -  für die Not.

Benutzt wurde es noch nie.

 

 

Ulla Atzert